November 2021: Prof. Dr. Laurence van Lent

 

Laurence van Lent, Professor für Accounting und Economics an der Frankfurt School of Finance and Management, leitet das Projekt B10 “Corporate Transparency: Unstructured Soft Information, Gossip, and Fake News“. Er untersucht, wie sich die Transparenz weicher Informationen (privat, qualitativ und schwer zu überprüfen) auf die Preisfindung auf den Aktienmärkten sowie auf den Produkt- und Faktormärkten auswirkt. Dabei hat er auch aktuelle Probleme wie den Klimawandel, die Corona-Pandemie oder den Brexit im Blick.

 

 

Accounting: Allrounder und Problemlöser

Meine Entscheidung für das Accounting war eine Entscheidung für Vielfalt. Ich konnte mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, irgendwann „festzusitzen“, gezwungen zu sein, für den Rest meines Lebens das Gleiche zu tun. Die Accounting-Forschung ermöglicht so viele unterschiedliche Zugänge und Fragestellungen. Im Laufe meiner Karriere habe ich mich zum Beispiel mit Fragen zu Geld und Einfluss in der Politik, sozialen Normen in Organisationen, der Reaktion von medizinischen Fachkräften auf Bonussysteme, dem Klimawandel und der Resilienz gegenüber Pandemien beschäftigt. Es gibt nur wenige andere Bereiche, in denen man ein so breites Spektrum an Themen behandeln kann. In den vergangenen Jahren wurde mir zudem klar: Die Rechnungslegung kann wesentlich zur Lösung einiger großer Probleme unserer Zeit beitragen – auf ihre ganze eigene Art und Weise: durch Messung und indem wir uns mit Transparenz-Fragen beschäftigen.

Ich halte Transparenz auch weiterhin für unverzichtbar. Allerdings glaube ich, dass wir ihre Rolle und vor allem ihre Grenzen differenzierter betrachten müssen.

Transparenz und ihre Grenzen

Damals, als der TRR 266 startete, war ich davon überzeugt, dass Transparenz viele Probleme lösen kann. Vielleicht waren es der damalige Zeitgeist auf dem Höhepunkt der Trump-Präsidentschaft und eine Reihe von politischen Skandalen, die mich zu dieser Überzeugung gebracht haben. Ich halte Transparenz auch weiterhin für unverzichtbar. Allerdings glaube ich, dass wir ihre Rolle und vor allem ihre Grenzen differenzierter betrachten müssen. Denn: Das Bekanntwerden von Trumps Fehlverhalten hat nicht dazu geführt, dass sich die Wähler massenhaft von ihm abgewandt haben. Die Presseberichte über Cambridge Analytica haben nicht zum Ende von Facebook geführt.

Manchmal ignorieren Menschen bereitwillig Informationen oder verzerren sie für ihre Zwecke. Daher finde ich es wichtig, dass wir uns auch mit entscheidenden Folgefragen von Transparenz beschäftigen. Etwa: Unter welchen Voraussetzungen läuft Transparenz ins Leere? Was geschieht mit Informationen, wenn Akteure sie verzerren, verstärken oder unterstützen? Und warum sind Menschen manchmal nicht bereit, ihr Denken trotz neuer Informationen zu revidieren?

Messungen sind eine Möglichkeit, uns zu sagen, wie groß das Problem ist, wo genau es auftritt und wer davon betroffen ist.

Messung: die originäre Superkraft des Accounting

Ich bin fest davon überzeugt, dass viele der größten Herausforderungen unserer Zeit nur durch Messungen gelöst werden können. Die originäre Superkraft des Accountings. Die benötigten Instrumente sind meist bereits vorhanden. Wir müssen nur lernen, diese Instrumente, die ursprünglich für Buchhaltungs- oder Steuerprobleme gedacht waren, auch auf die größeren Probleme anzuwenden. Nehmen wir zum Beispiel den Klimawandel. Solange wir die Auswirkungen eines Unternehmens auf seine Umwelt nicht vollständig erfassen können, werden wir nicht in der Lage sein, die Wirtschaft in eine nachhaltigere Richtung zu verändern. Denn Handlungen, die nicht gemessen werden, werden ignoriert. Messungen sind eine Möglichkeit, uns zu sagen, wie groß das Problem ist, wo genau es auftritt und wer davon betroffen ist.

Wir beobachten, dass Unternehmen, die dem Klimawandel ausgesetzt sind, damit beginnen, mehr Menschen einzustellen, die Fähigkeiten besitzen, die für den Klimawandel relevant sind.

Wie stark sind Unternehmen dem Klimawandel ausgesetzt?

Im November werden wir auf einer NBER-Konferenz ein TRR 266-Papier zum Klimawandel vorstellen. Wir haben eine Messmethode entwickelt, die auf Basis von sogenannten Earnings Calls ermittelt, wie stark Unternehmen dem Klimawandel ausgesetzt sind – seinen Chancen und Risiken. Wir messen die Exposition gegenüber dem Klimawandel anhand des Anteils bestimmter Wortkombinationen mit Bezug zum Klimawandel im Gesamtgespräch. Die Verwendung von Earnings Calls ist deshalb von Vorteil, weil sie weniger anfällig für das Greenwashing von Managern sind als beispielsweise Jahresberichte. In diesen vierteljährlichen Gesprächen informieren Unternehmen Analysten über die Aktivitäten des Unternehmens und zukünftige Entwicklungen. Auch wenn das Unternehmen versucht, das Thema Klimawandel zu umgehen oder seine Erfolge schönzureden – die Analysten fragen kritisch nach und setzen damit einen Kontrapunkt.

Wir haben Transkripte von 10.000 börsennotierten Unternehmen aus 34 Ländern in einem Zeitraum von 17 Jahren ausgewertet. Diese Daten bergen ein großes Erkenntnispotenzial. Wir können zum Beispiel sehen, wo Probleme des Klimawandels am meisten diskutiert werden – und womit das korreliert. Ob mit physischen Bedrohungen, denen Unternehmen ausgesetzt sind – wie einem Anstieg des Meeresspiegels – oder mit kostspieligen regulatorischen Eingriffen wie einer Kohlenstoffsteuer. Wir beobachten, dass Unternehmen, die dem Klimawandel ausgesetzt sind, damit beginnen, mehr Menschen einzustellen, die Fähigkeiten besitzen, die für den Klimawandel relevant sind. Und wir stellen auch fest, dass diese Unternehmen häufiger neue Technologien nutzen, die ihnen Vorteile gegenüber Entwicklungen des Klimawandels verschaffen können.

Wir verwenden einfache Berechnungsmethoden, um herauszufinden, ob, in welchem Maße und auf welche Weise Unternehmen der Politik, dem Klimawandel, einer Pandemie oder dem Brexit ausgesetzt sind.

B10: mehr als nur der finanzielle Status

Meine Forschung zum Klimawandel ist auch Teil meines TRR 266 Projekts B10. Im Projekt geht es darum, anhand von Unternehmensangaben mehr über das Unternehmen zu erfahren als nur seinen finanziellen Status. In den meisten Veröffentlichungen verwenden wir einfache Berechnungsmethoden, um herauszufinden, ob, in welchem Maße und auf welche Weise Unternehmen der Politik, dem Klimawandel, einer Pandemie oder dem Brexit ausgesetzt sind. Wir können mit diesen Informationen Fragen beantworten, mit denen sich Makroökonomen schon seit Langem herumschlagen. Um adäquat auf die Covid-19-Pandemie reagieren zu können, müssen Regierungen zum Beispiel wissen, ob die Coronakrise hauptsächlich ein Nachfrageschock ist, bei dem Menschen keine Waren oder Dienstleistungen mehr kaufen möchten, oder ein Angebotsschock, bei dem Unternehmen dazu gezwungen sind, Geschäfte und Produktionsanlagen zu schließen.

Es ist kompliziert, diese beiden Erklärungen anhand von aggregierten (Makro-)Daten auseinanderzuhalten. Ein Blick auf die Angaben auf Unternehmensebene kann sehr hilfreich sein – und wir können genau feststellen, in welchen Sektoren die Nachfrage das Hauptproblem darstellt und welche Unternehmen überwiegend unter Angebotsstörungen leiden. Die Regierungen können dann maßgeschneidert reagieren, indem sie Unternehmen mit einem Angebotsproblem finanzielle Unterstützung gewähren oder die Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen von Unternehmen senken, bei denen die Nachfrage vorübergehend weggebrochen ist.

Wir hoffen, dass unsere Forschung auf diese Weise Ausgangspunkt für neue Beobachtungen, Erkenntnisse und Experimente ist; für politische Entscheidungen und Reformen.

Climate Change Lab: Wissen teilen

Unsere Forschung und unsere Ergebnisse möchten wir gerne teilen und leicht zugänglich machen. Für andere Forschende, politische Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit. Im Rahmen meiner Forschung zum Klimawandel habe ich beispielsweise mit Kollegen von der Frankfurt School und der Shanghai University of Finance and Economics das Climate Change Lab gegründet.

Auf unserer Website informieren wir über unsere Forschung, neue Publikationen und Vorträge; veröffentlichen unsere Methoden, Daten und Ergebnisse. In Form eines Open Science Framework Repository. Aber auch so, dass Nicht-Wissenschaftler die Daten verstehen und einordnen können. Außerdem ist es uns wichtig, dass Interessierte wissen, wie sie uns erreichen können, falls sie Fragen haben. Wir hoffen, dass unsere Forschung auf diese Weise Ausgangspunkt für neue Beobachtungen, Erkenntnisse und Experimente ist; für politische Entscheidungen und Reformen. Wir hoffen, dass auf diese Weise eine Art virtuelles Labor entsteht, in dem dieses wichtige Thema von Forschenden und anderen Experten auf der ganzen Welt vorangebracht wird.

Das Climate Change Lab ist außerdem ein großartiger Ort für Nachwuchsforschende, die von unseren Erkenntnissen und Methoden der datengetriebenen Forschung zu Klimarisiken in Unternehmen lernen können.

Den Nachwuchs fördern

Das Climate Change Lab ist außerdem ein großartiger Ort für Nachwuchsforschende, die von unseren Erkenntnissen und Methoden der datengetriebenen Forschung zu Klimarisiken in Unternehmen lernen können. Wir möchten Doktoranden daher ermutigen: Schließt euch uns an! Bewerbt euch! Für mich ist die Doktorandenausbildung wirklich eine Herzensangelegenheit. Ob im Climate Change Lab, an der Frankfurt School oder im TRR 266 – für Ratschläge, Feedback und Diskussionen zu Forschung und Forschungsideen bin ich immer zu haben. Diesen engen Austausch finde ich sehr wichtig. Und ich schätze es sehr, dass darauf auch im TRR 266 großer Wert gelegt wird. Neben Möglichkeiten zum Austausch gibt es in unserem Forschungsverbund auch viele andere Gelegenheiten für Nachwuchsforschende zu wachsen – fachlich und persönlich. Durch Workshops, Konferenzen, Staff Rotation und vieles mehr.

Ein Forschender allein kann mit seiner Arbeit und seinen Fähigkeiten immer nur einen winzigen Teil zur Lösung eines Problems beitragen.

TRR 266: Austausch, Social Media und Open Science               

Auch ich profitiere vom TRR 266 in einiger Hinsicht. Zum einen ist das Netzwerk natürlich großartig. Der Austausch mit all den klugen Köpfen macht einfach Spaß – und die eigene Forschung wächst daran. Zum anderen erweitert der TRR 266 auch in nicht-fachlicher Hinsicht meinen Horizont und ermutigt mich beispielsweise im Bereich der Wissenschaftskommunikation und der Sozialen Medien aktiver zu werden. Ich habe festgestellt, dass sich Twitter hervorragend eignet, um über aktuelle Forschung aus verwandten Forschungsfeldern informiert zu bleiben. Außerdem baut es Schranken ab: Es erleichtert mit anderen Forschenden in Kontakt zu treten und sich auszutauschen. Das schätze ich sehr.

Der TRR 266 unterstützt mich und die anderen Forschenden natürlich auch ungemein, wenn es um Open Science geht. Mit Schulungen, Workshops und vielem mehr. Das ist von unschätzbarem Wert. Je mehr Forschende Open Science praktizieren, desto besser. Denn man muss sich bewusst machen: Ein Forschender allein kann mit seiner Arbeit und seinen Fähigkeiten immer nur einen winzigen Teil zur Lösung eines Problems beitragen. Die Gesamtlösung des Problems erfordert eine massive gemeinschaftliche Anstrengung. Open Science schafft die Voraussetzungen dafür. Außerdem hilft Open Science Forschung und ihre Grenzen transparenter zu machen. Vielleicht trägt das auf lange Sicht zu einer informierten öffentlichen Debatte darüber bei, was Forschung leisten kann und was nicht – und somit zu einem differenzierteren Wissenschaftsverständnis.

 

 

*Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.

**In diesem Beitrag wird ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit teilweise auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

 

 

 

 

 

Researcher of the Month Oktober

Beteiligte Institutionen

Die Hauptstandorte vom TRR 266 sind die Universität Paderborn (Sprecherhochschule), die HU Berlin und die Universität Mannheim. Alle drei Standorte sind seit vielen Jahren Zentren für Rechnungswesen- und Steuerforschung. Hinzu kommen Wissenschaftler der LMU München, der Frankfurt School of Finance and Management, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität zu Köln und der Leibniz Universität Hannover, die die gleiche Forschungsagenda verfolgen.

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