Können CO₂-Angaben auf Lebensmitteln das Essverhalten beeinflussen?
Klimawandel, Umweltzerstörung, drohende Ressourcenkonflikte –
der Handlungsdruck steigt. Auf dem Weg zu einer ökologisch
nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft spielen wir Verbraucher
eine zentrale Rolle. Gut verständliche Informationen können unsere
Entscheidungsfindung unterstützen und uns zum Beispiel zu
nachhaltigerem Konsum bewegen. Doch sind Informationen allein für
spürbare Veränderungen hinreichend? Verleiten uns Angaben zum CO2–
Fußabdruck von Lebensmitteln tatsächlich zu einer nachhaltigeren
Ernährung? Und – wie genau sollten diese Informationen dargestellt sein,
um diesen Effekt zu entfalten? Das haben wir in einem Feldexperiment
untersucht. Hier geht’s zu den Ergebnissen:
Die Ergebnisse
Teilnehmende ändern ihr Essensverhalten, wenn sie mit CO2-Angaben konfrontiert werden
Das sind unsere drei Hauptergebnisse in der Übersicht:
Ergebnis 1
Der ökologische Fußabdruck spielt in der Selbsteinschätzung der Teilnehmenden – neben anderen Kriterien wie Aussehen und Geschmack – nur eine untergeordnete Rolle bei der Essensauswahl.
Ergebnis 2
Dennoch reduziert eine Beschilderung mit Emissionsdaten die Nachfrage nach CO2-intensiven Gerichten wie Fleisch und Fisch – und damit den gesamten CO2-Fußabdruck des gewählten Essens.
Ergebnis 3
Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt, wenn die CO2-Angaben in Ampelfarben visualisiert bzw. als “Umweltkosten” (in Euro je 100 g) präsentiert werden.
Ergebnis 1:
Selbsteinschätzung der Teilnehmenden: ökologischer Fußabdruck spielt für Essenswahl nur untergeordnete Rolle
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Gerichte in der Mensa üblicherweise aus?
Die Abbildung zeigt Antworten auf die unser Experiment begleitende Umfrage. Sie basiert auf 2.975 individuellen Kriterien, die von 734 verschiedenen Teilnehmenden für ihre Essenswahl genutzt werden. Es war möglich, diese Frage zu überspringen. Die Teilnahme war einmal täglich möglich. Für diese Abbildung haben wir jeweils nur die zuerst ausgefüllte Umfrage pro teilnehmender Person gewertet. Die Umfrageteilnahme war freiwillig und anonym.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem heutigen Essen?
Die Abbildung zeigt Antworten auf die unser Experiment begleitende Umfrage. Sie basiert auf 1.649 Antworten von 824 verschiedenen Teilnehmenden. Die Teilnahme war einmal täglich möglich. Es war nicht möglich, die obige Frage zu überspringen. Die Umfrageteilnahme war freiwillig und anonym.
Ergebnis 2 & 3
CO2-Angaben reduzieren die Klimaschädlichkeit der gewählten Speisen – aber auf die Darstellung kommt es an
Diese Abbildung zeigt unsere Effektschätzungen auf der Grundlage einer Untersuchungsgesamtheit von 22.713 Gerichten, die während des 10-tägigen Experiments in
der Mensa erworben wurden. Vier CO2-Darstellungsformen (jeweils pro 100 Gramm der jeweiligen Speise), hier durch Blattsymbole gekennzeichnet, wurden
verwendet: in Gramm CO2-äquivalenter Emissionen („g CO2“), als Umweltkosten in Euro („€“) und als prozentualer Anteil am täglichen CO2-Budget für Lebensmittel („%“).
Die CO2-Angaben wurden teils schwarz-weiß und teils in den Signalfarben grün, gelb oder rot präsentiert. Jede CO2-Darstellungsform wurde vier halbe Tage lang präsentiert,
mit einer Baseline von vier weiteren halben Tagen ohne CO2-Informationen. Die Effektgrößen werden als prozentuale Veränderungen des CO2-Fußabdrucks der gewählten
Gerichte gemessen. Die Bereiche spiegeln 95%-Konfidenzintervalle wider und basieren auf OLS-Regressionsschätzungen mit täglichen und Zeitfenster fixed effects.
Die schattierten Bereiche um die Konfidenzintervalle zeigen die Modellunsicherheit an und geben die Konfidenzintervalle alternativer fixed-effects-Strukturen wieder.
Das Experiment auf einen Blick
Die Methode
In einem Feldexperiment mit begleitender anonymer Umfrage haben wir im November 2022 untersucht, inwieweit eine Kennzeichnung von Lebensmitteln mit CO2-Angaben das Essverhalten beeinflusst. Die Teilnehmenden wurden weder vorselektiert noch wussten sie während ihrer Teilnahme etwas von dem Experiment, das in einer der größten Mensen des Studentenwerks München durchgeführt wurde.
Die Durchführung
Neben den üblichen Informationen zum Speisenangebot waren auf den Anzeigetafeln der Mensa während des Versuchszeitraums zusätzlich Angaben zum C02-Fußabdruck der Gerichte zu finden, die jeweils in unterschiedlichen Formaten (je 100 Gramm der jeweiligen Speise) dargestellt wurden: in Gramm CO2-äquivalenter Emissionen, als prozentualer Anteil am täglichen CO2-Budget für Lebensmittel und als Umweltkosten in Euro. Die CO2-Angaben wurden teils schwarz-weiß und teils in den Signalfarben grün, gelb oder rot präsentiert; zusätzlich gab es Zeiträume ohne CO2-Angaben, um das “normale” Konsumverhalten zu beobachten. Der C02-Fußabdruck der Mensagerichte wurde im Vorfeld mithilfe von Daten der Initiative KlimaTeller berechnet.
Die Daten
Gemessen wurden die Effekte der CO2-Kennzeichnung auf die Speisenwahl mit drei Größen:
1) Art des gewählten Gerichts (Fleisch/Fisch oder vegan/vegetarisch)
2) Gesamtmenge des gewählten Gerichts in Gramm und
3) CO2-Fußabdruck des gewählten Gerichts.
Die Ergebnisse des Experiments wurden durch eine anonyme Umfrage unter anderem zur Zufriedenheit der Mensagäste und zu ihrem üblichen Konsumverhalten ergänzt. Sind Sie an weiteren Informationen über die Studienmethodik interessiert? Hier finden Sie eine ausführliche Beschreibung.
Open Science
Daten und Code aus dem Papier sind auf Github verfügbar: https://github.com/trr266/carbonfood
Unser vorregistrierter Forschungsplan schränkt die Anzahl der Ex-post-Entscheidungen zum Forschungsdesign ein. Aber selbst innerhalb dieser Einschränkungen standen wir noch vor mehreren Entscheidungen, von denen die meisten in unserem Papier diskutiert werden. Diese ausgewählten ergänzenden Analysen schöpfen die Menge der plausiblen Kombinationen von Forschungsdesigns nicht voll aus. Um die Robustheit unserer wichtigsten Erkenntnisse in Bezug auf diese Entscheidungen zu prüfen und gleichzeitig die unerschwinglichen Kosten für die tabellarische Auflistung und Erörterung jeder Permutation im Detail zu vermeiden, haben wir ein Online-Dashboard erstellt, auf dem interessierte Leser ein Multiversum von bis zu 61.440 Regressionen erkunden können, die 12 Forschungsdesigns mit jeweils zwischen 2 und 5 Optionen kombinieren.
Das möchten wir bewirken
Das Experiment hilft uns zu verstehen, wie die CO2-Kennzeichnung von Lebensmitteln das Verbraucherverhalten beeinflussen kann. Von besonderem Interesse ist dabei, welche Präsentationsformen der CO2-Angaben besonders wirksam sind. Mit diesem Experiment möchten wir herausfinden, wie Verbraucher:innen ihre Konsumentscheidungen in voller Kenntnis der damit verbundenen CO2-Emissionen treffen. Ein derart informiertes Entscheidungsverhalten wiederum kann zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft beitragen.
Politik
Der Politik bietet unsere Studie wichtige Hinweise darauf, durch welche Maßnahmen Verbraucher:innen und andere Akteure wirksam zu einem nachhaltigeren Verhalten angeregt werden können, wenn dies politisch gewünscht ist.
Wirtschaft
Akteure in der Wirtschaft, die an größerer Transparenz interessiert sind, erhalten durch unsere Studie Impulse für eine freiwillige CO2-Kennzeichnung von Lebensmitteln sowie von anderen Produkten und Dienstleistungen.
Gesellschaft
Wirksame Maßnahmen helfen uns dabei, negative Umweltfolgen sowie soziale und wirtschaftliche Folgen zu minimieren, und beschleunigen so den Weg zu einer nachhaltigeren Gesellschaft. Unsere Studie bietet hier konkrete Ansatzpunkte.
Die verschiedenen Darstellungsformen:
Während des 10-tägigen Versuchszeitraums wurde die Darstellungsform täglich wie folgt variiert:
CO2-äquivalente Emissionen:
Angezeigt werden die absoluten CO2-äquivalenten Emissionen (in Gramm), die pro 100 Gramm des Gerichts anfallen.
Prozentualer Anteil am täglichen CO2-Budget für Lebensmittel:
Angezeigt wird, welchen Prozentanteil des täglichen C02-Budgets für Lebensmittel eine Portion von 100 Gramm des jeweiligen Gerichts ausmacht.
Umweltkosten in Euro:
Angezeigt werden die verursachten Umweltkosten in Euro je 100 Gramm des jeweiligen Gerichts.
Farbcodierung
Die CO2-Angaben erscheinen eingerahmt von einem transparenten Blatt oder innerhalb von Blättern in Ampelfarben, die vom CO2-Fußabdruck abhängen – grün für gering, gelb für mittel und rot für hoch.
Diese Daten wurden erhoben
Gemessen wurden die Effekte der CO2-Kennzeichnung auf die Speisenwahl mit drei Größen:
1) Art des gewählten Gerichts (Fleisch/Fisch oder vegan/vegetarisch)
2) Gesamtmenge des gewählten Gerichts in Gramm und
3) CO2-Fußabdruck des gewählten Gerichts.
Die Ergebnisse des Experiments wurden durch eine anonyme Umfrage unter anderem zur Zufriedenheit der Mensagäste und zu ihrem üblichen Konsumverhalten ergänzt. Konkret haben wir die Teilnehmenden unter anderem danach gefragt, wie zufrieden sie mit der gewählten Mahlzeit waren, ob sie in einer Gruppe oder alleine gegessen haben und nach welchen Kriterien sie ihr Essen in der Regel auswählen. Die freiwillige Befragung wurde vom Studentenwerk München durchgeführt und war mit einem Anreiz verbunden. Unter den Teilnehmenden wurde täglich ein 100-Euro-Gutschein verlost. Um an der Verlosung teilzunehmen, mussten die Teilnehmenden die Nummer ihres Kassenbons eingeben. Auf diese Weise konnten wir die Kassendaten zur Essenswahl mit den Umfragedaten verknüpfen. Ein Rückschluss auf die Teilnehmenden war zu keinem Zeitpunkt möglich; die Teilnahme war vollständig anonym.
Die Untersuchungsgesamtheit
Die Mensagäste wurden nicht darüber informiert, dass sie an einem Experiment teilnehmen, damit ihre Speisenwahl nicht bewusst beeinflusst wird. Insgesamt waren über 8.000 Mensagäste Teil des Experiments und über 20.000 Mahlzeiten gingen in die Analyse ein. Über 700 Mensagäste haben zusätzlich an der begleitenden Befragung teilgenommen.
Ort und Zeitraum des Experiments
Das Experiment wurde an zehn Werktagen im November 2022 jeweils zwischen 11 und 14 Uhr in einer großen Mensa an der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt.
Interviews
Ziel & Idee der Studie
Prof. Dr. Thorsten Sellhorn (LMU München) spricht darüber, wie die Idee zur Studie entstanden ist und erklärt, wem die Ergebnisse der Studie helfen können.
Das wurde untersucht:
Dr. Bianca Beyer (Aalto Universität Finnland) erklärt, wie das Team den Effekt von CO2-Angaben auf das Essverhalten mithilfe unterschiedlicher Darstellungsformen gemessen hat.
So wurden der CO2-Fußabdruck bestimmt:
Simone Euler (HU Berlin) erklärt im Interview, wie das Team den CO2-Fußabdruck der Speisen berechnet hat – und wie sie bestimmt haben, ab welchem Wert Speisen als klimafreundlich oder klimaschädlich gelten. Außerdem erklärt Prof. Dr. Joachim Gassen (HU Berlin), warum es wichtig ist, eine Poweranalyse durchzuführen.
So wurde das Experiment durchgeführt:
Dr. Ann-Kristin Großkopf (LMU) berichtet im Detail, wie das Experiment durchgeführt wurde, welche Herausforderungen bewältigt werden mussten und wer das Forscherteam dabei unterstützt hat.
Darum musste das Experiment geheim bleiben:
Dr. Ann-Kristin Großkopf (LMU München) & Dr. Bianca Beyer (Aalto Universität Finnland) erklären, warum die Teilnehmenden nicht wissen durften, dass sie an einem Feldexperiment teilnehmen.
Die Vorteile einer „in-principle acceptance“:
Prof. Dr. Joachim Gassen (HU Berlin) und Prof. Dr. Thorsten Sellhorn (LMU München) berichten, dass ihre Studie bereits als Registered Report bei einer anerkannten Zeitschrift angenommen wurde – und erläutern, warum das für Studie und Projektteam so wichtig war.
Forscherinnen und Forscher
Die untenstehenden sechs Forscherinnen und Forscher der HU Berlin und LMU München waren an diesem Projekt beteiligt, welches sie in Zusammenarbeit mit dem Studentenwerk München durchgeführt haben.
Rico Chaskel
Humboldt University of Berlin
Postdoc