Dezember 2022: Prof. Dr. Dirk Simons
Dirk Simons, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Rechnungswesen an der Universität Mannheim, forscht in drei Teilprojekten des TRR 266. Im Projekt A06 „Context-Based Disclosure Incentives“ untersucht er, wie kontextabhängige Anreize das Offenlegungsverhalten von Unternehmen beeinflussen und sich letztlich auf Transparenz und Stakeholder-Entscheidungen auswirken. Im Projekt B06 „Transparency and Transfer Prices“ wiederum geht der Frage nach, wie Steuertransparenz unternehmerische Entscheidungen sowie Prüfstrategien von Steuerbehörden beeinflusst. Als einer der akademischen Projektleiter des German Business Panel ist es sein Ziel, die Blackbox „Unternehmen“ zu öffnen, um zu einer evidenzbasierten und verbesserten Regulierung beizutragen.
Wer, wie, was – wieso, weshalb, warum?
Ich war ein großer Fan der Sesamstraße. „Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum“, so muss man sich die Welt erschließen. Diese Neugier auf ungelösten Fragen ist ein wesentlicher Grund, warum ich Professor für Accounting geworden bin. Denn für mich ist Accounting vor allem eins: Informationsökonomie – und eine Suche nach Antworten auf die Frage: Mit wem sollte man wann und warum welche Informationen teilen. Darum geht es auch bei der betriebswirtschaftlichen Transparenzforschung im Wesentlichen, die wir im TRR 266 betreiben. Komplexe Fragestellungen, auf die es keine einfachen Antworten gibt – das reizt mich ungemein. Neben meiner Faszination für die Wissenschaft und für das Themengebiet war sicherlich auch das inspirierende und fördernde Umfeld am Lehrstuhl von Hermann Jahnke, bei dem ich promoviert habe, für meine Entscheidung ausschlaggebend.
Man braucht ein Netzwerk von Forschenden aus unterschiedlichen Bereichen, mit denen man vertrauensvoll und kontrovers diskutieren und neue Fragestellungen entwickeln kann.
TRR 266: ein inspirierendes Netzwerk
Im TRR 266 kann ich diese Fragen mit vielen interessanten Menschen diskutieren. Mit Forschenden, die ich erst über den TRR 266 kennengelernt habe, und mit alten Weggefährten, die der TRR 266 nun wieder zusammengeführt hat. Und das finde ich unheimlich inspirierend. Gemeinsam entwickelt man viele spannende Fragestellungen – gleichzeitig haben wir die Chance, diese Fragen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Erst vor kurzem habe ich mit einem anderen TRR 266-Forscher über die Einführung eines öffentlichen Country-by-Country Reportings (CbCR) diskutiert. Schnell kam der Vergleich mit einem Pranger auf. Da wir beiden als Wirtschaftswissenschaftler nur sehr begrenztes Wissen über den Pranger als Rechtsinstrument haben, haben wir uns an einen Historiker gewandt – mit dem ich in der Europäischen Universitätsallianz ENGAGE.EU, die ich mit initiiert habe, zusammenarbeite. Gemeinsam mit ihm haben wir die Unterschiede und Gemeinsamkeiten detaillierter herausarbeiten können. Die Ursprungsfragestellung hat sich durch den gemeinsamen Austausch wesentlich weiterentwickelt und ausdifferenziert. Vielleicht entsteht sogar ein Paper daraus. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig Verbünde wie der TRR 266 und ENGAGE.EU sind. Es gibt so unwahrscheinlich viele Fragen, die man als Einzelforscher nicht beantworten kann. Man braucht ein Netzwerk von Forschenden aus unterschiedlichen Bereichen, mit denen man vertrauensvoll und kontrovers diskutieren und neue Fragestellungen entwickeln kann. Und das macht auch noch unheimlich viel Spaß!
Ich bin ein großer Freund von Demokratie und Teilhabe.
Transparenz: eine wesentliche Eigenschaft von Demokratien
Mein Engagement für ENGAGE.EU und für den TRR 266 haben noch einen weiteren gemeinsamen Nenner. Ich bin ein großer Freund von Demokratie und Teilhabe. Bei ENGAGE.EU möchten wir die EU für Nachwuchsfroschende erfahrbar machen. Forschende haben die Gelegenheit, an neun unterschiedlichen Standorten in Europa zusammenzukommen, sich auszutauschen, zu diskutieren – und über den Horizont der eigenen Uni und des eigenen Landes hinauszuwachsen. Das ist unheimlich wichtig für die eigene Erfahrungsbildung, für Wissenschaft, für Demokratie. Als überzeugter Europäer bin ich großer Fan der Initiative. Auf der anderen Seite ist eine wesentliche Eigenschaft von Demokratien – und damit kommen wir wieder zum TRR 266 und zur Transparenzforschung – ein relativ hoher Grad an Informationsteilung. Transparenz ist einer der Grundbestandteile unserer Gesellschaftsform. Allerdings hat Transparenz natürlich auch immer zwei Seiten. Nach wie vor glaube ich, dass es auch Informationen gibt, die man nicht öffentlich machen sollte. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Antwort von Thomas de Maizière als ihn Journalisten danach fragten, warum das Länderspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen die Niederlande 2015 kurzfristig abgesagt wurde: „Verstehen Sie bitte, dass ich darauf keine Antwort geben möchte. Warum? Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Das war eine sehr unglückliche Form der Transparenz, die leicht zu einer Fehlkoordination von gesellschaftlichen Akteuren hätte führen können, zu Panikreaktionen. Wir sprechen in solchen Fällen von Koordinationsproblemen.
Wir untersuchen, wie man Koordinationsprobleme über das richtige Maß an Transparenz lösen kann.
Koordinationsprobleme: berichten oder nicht berichten?
In unserem Projekt A06 beschäftigen wir uns mit institutionellen Lösungen für eben solche Koordinationsprobleme. Typisches Beispiel für eine Fehlkoordination von Akteuren sind sogenannte Bank Runs, bei denen viele einzelne Kreditgeber ihr Geld gleichzeitig aus den Banken herausziehen. Nicht etwa, weil sich die Anleger explizit abgesprochen hätten, sondern weil sie Informationen haben, die sie zu dem Schluss verleiten, dass es besser ist, das Geld aus der Bank herauszuziehen. Wir untersuchen, wie man Koordinationsprobleme über das richtige Maß an Transparenz lösen kann. Worüber darf berichtet werden? Und was sollte verschwiegen werden, wenn man keine Panik verursachen will? Sollte man zum Beispiel bei der Liquidation immer über die Anschaffungs- und Herstellungskosten (historical costs) oder den Nettoveräußerungswert (fair value less costs to sell) berichten? Oder gibt es möglicherweise auch bessere Optionen?
Im Working Paper Enforcement and Disclosure haben wir beispielsweise untersucht, was passiert, wenn Unternehmen zwar nicht aktiv lügen, aber gesetzwidrig Informationen verschweigen können.
Offenlegungspflichten und ihre Durchsetzung
Im Working Paper „Enforcement and Disclosure” haben wir beispielsweise untersucht, was passiert, wenn Unternehmen zwar nicht aktiv lügen, aber gesetzwidrig Informationen verschweigen können – jedoch mit einer Geldstrafe rechnen müssen, wenn bei einer Prüfung der Unternehmensabschlüsse festgestellt wird, dass wichtige Informationen verschwiegen wurden. Welche Anreizwirkungen hat das für Unternehmen? Und welche Auswirkungen hat das auf ihre Berichterstattung? Das ist insbesondere für Politiker und Regulierer von Interesse. Denn um wirksame Regulierungen einführen zu können, müssen sie wissen, wie Regulierungen das Handeln von Unternehmen beeinflussen. In unserer Studie vergleichen wir dabei unterschiedliche Kombinationen von Berichterstattungspflichten und Durchsetzungsregeln. Damit lässt sich zum Beispiel beantworten, wie stark Unternehmen bei strengeren Berichtspfllichten ihre freiwillige Berichterstattung zurückfahren.
Im Projekt B06 untersuchen wir, wie Steuertransparenz unternehmerische Entscheidungen über Investitionen und Berichterstattung sowie Prüfstrategien von Steuerbehörden beeinflusst.
Mehr Transparenz, mehr steuerliche Fairness?
Im Projekt B06 wiederum untersuchen wir, wie Steuertransparenz unternehmerische Entscheidungen über Investitionen und Berichterstattung sowie Prüfstrategien von Steuerbehörden beeinflusst. Führt mehr Transparenz zu mehr steuerlicher Fairness? Oder hat sie vielleicht auch negative Effekte – etwa für Unternehmen? Das Country-by-Country Reporting zum Beispiel erhöht nicht nur die Steuertransparenz, sondern – ohne adäquaten Ausgleichsmechanismus – auch die Gefahr der Doppelbesteuerung. Das CbCR verpflichtet multinationale Unternehmen dazu, gegenüber Finanzbehörden offenzulegen, in welchen Ländern sie wie viele Gewinne erwirtschaften, Steuern zahlen, Personal beschäftigen etc. Diese Informationen liegen den Steuerbehörden aller Länder, in denen das Unternehmen operiert, vor. Die Steuerbehörden können auf diese Weise leichter einschätzen, ob sie zu wenig Steuersubstrat erhalten haben – und eine Steuerprüfung veranlassen sollten. Damit es zu keiner Doppelbesteuerung kommt, muss das Land, das zu viel Steuersubstrat erhalten hat, bereit sein, das zu Unrecht erhaltene Steuersubstrat zurückzugeben. Dazu hat das betroffene Land jedoch allein durch die CbCR in der Regel keinen Anreiz. Deshalb hat die OECD gleichzeitig die Einführung einer verpflichtenden Schiedsgerichtbarkeit angeregt, die das Problem der Doppelbesteuerung lösen soll.
Niedrigsteuerländer haben nur im Falle einer verpflichtenden Schiedsgerichtsbarkeit einen Anreiz, in Steuerprüfungen zu investieren.
Country-by-Country Reporting: Ist eine verpflichtende Schiedsgerichtsbarkeit notwendig?
In unserem Paper „Incentive effects of tax transparency: Does country-by-country reporting call for arbitration?“ haben wir modelltheoretisch untersucht, welche Wirkung das CbCR in Verbindung mit einer solchen Schiedsgerichtsbarkeit tatsächlich auf die Qualität der Steuerprüfung in den jeweiligen Ländern hat. Unsere Ergebnisse zeigen, dass in Hochsteuerländern ein CbCR auch ohne Schiedsgerichtsbarkeit bereits zu einer hohen Qualität der Steuerprüfung führt. Denn durch die zusätzlichen Informationen sind Steuerbehörden dazu in der Lage, Unternehmen, die zu Gewinnverlagerungen neigen, besser zu identifizieren. Die knappen Steuerprüfungskapazitäten können daher zielgerichteter und effizienter eingesetzt werden. Niedrigsteuerländer jedoch haben nur im Falle einer verpflichtenden Schiedsgerichtsbarkeit einen Anreiz, in Steuerprüfungen zu investieren. Und das wiederum auch nur bei bestimmten Arten von Schiedsgerichtsverfahren.
Für mich hört Forschung bei der wissenschaftlichen Publikation noch nicht auf. Ich finde es wichtig, Forschungsergebnisse auch Praxis, Politik und Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Einen Unterschied machen
Als Modelltheoretiker entwickele ich ökonomische Modelle wie dieses, die zunächst einmal sehr abstrakt sind. Aber natürlich identifizieren sie reale Konsequenzen und können Politikern, Unternehmen und Regulierern wichtige Hinweise geben. Deshalb hört für mich Forschung bei der wissenschaftlichen Publikation noch nicht auf. Ich finde es wichtig, Forschungsergebnisse auch Praxis, Politik und Öffentlichkeit zugänglich zu machen – und gemeinsam darüber zu diskutieren. Deshalb engagiere ich mich beispielsweise in Vereinigungen wie der Schmalenbach-Gesellschaft, die den Austausch zwischen Forschung und Praxis fördern. Natürlich muss man die Abstraktionsgrade von Modellen dabei deutlich herunterfahren, aber das funktioniert wunderbar – und es lohnt sich. Außerdem ist ein solcher Austausch auch keine Einbahnstraße. Denn auf diese Weise erhalte ich wichtiges Feedback für meine Forschung und erfahre, was Unternehmen, Regulierer und Politik aktuell umtreibt. Daraus entstehen dann wiederum neue Forschungsfragen – und letztlich Forschung, die wirklich etwas bewirken kann, weil sie dort ansetzt, wo der Schuh drückt.
Mit dem GBP haben wir dazu beigetragen, die Blackbox Unternehmen noch ein Stückchen weiter zu öffnen.
German Business Panel: die Blackbox öffnen
Und das ist auch ein zentraler Aspekt, der das German Business Panel (GBP) so erfolgreich macht. Gemeinsam mit anderen TRR 266-Forschenden der Universität Mannheim befragen wir Unternehmen regelmäßig zu ihren Einschätzungen, Meinungen und Befürchtungen in einem klassischen betriebswirtschaftlichen Sinne. Insbesondere zur Hochzeit der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie sehr vor allem mittelständische Unternehmen auf eine solche Gelegenheit gewartet haben. Die Unternehmen hatten großen Sorgen und das unbedingte Bedürfnis sich mitzuteilen. Über das GBP hatten und haben sie die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben, Einfluss zu nehmen – ohne dabei Angst um ihre Daten haben zu müssen. Mithilfe des großen Datenpools, der auf diese Weise entstanden ist, können wir betriebswirtschaftliche Fragestellungen untersuchen, die mit den bislang zur Verfügung stehenden Daten unbeantwortet geblieben wären. Dadurch können wir auch Politikern und Regulierern wichtig Hinweise für eine bessere Regulierung geben. Mit dem GBP haben wir in gewisser Weise dazu beigetragen, die Blackbox Unternehmen noch ein Stückchen weiter zu öffnen. Denn gerade mittelständische Unternehmen sind seltener Gegenstand der Forschung, weil die Daten schwerer verfügbar sind. Das möchten wir ändern. Deshalb machen wir die anonymisierten Daten auch für andere Forscher*innen zugänglich. Jeder der mitforschen will, ist herzlich eingeladen. Es warten noch so viele spannende Fragen darauf, entschlüsselt zu werden. Und das geht am besten gemeinsam.
*Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.
**In diesem Beitrag wird ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit teilweise auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.