Februar 2021: Prof. Dr. Jens Müller

Jens Müller, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insb. Unternehmensbesteuerung und Steuerlehre an der Universität Paderborn, forscht in zwei Teilprojekten des TRR 266. In B07 geht er der Frage nach, wie sich obligatorische und freiwillige Steuerinformationen auf die Steuertransparenz auswirken und welche unternehmerischen Folgen auftreten. Im Projekt B04 wiederum untersucht er, welchen Einfluss Transparenzregulierung auf Investitions- und Produktmärkte sowie auf unternehmerische Entscheidungen hat.

 

Steuerforschung: Das geht uns alle etwas an

Für mich ist die Steuerforschung ein unheimlich spannendes Gebiet mit zugleich großer gesellschaftlicher Relevanz. Denn Steuern betreffen jeden. Sie beeinflussen uns und unsere Entscheidungen in ganz vielen Lebensbereichen – bewusst oder unbewusst. Insbesondere unternehmerische Entscheidungen. Auch unternehmerische Entscheidungen sind Entscheidungen, die letztlich von Menschen getroffen werden. Mit all ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und Hintergründen. Menschen, die immer neuen Entscheidungssituationen ausgesetzt sind. Denn steuerliche Rahmenbedingungen und Regeln ändern sich häufig. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern und im Zusammenspiel mit diesen. Wie Menschen diesen neuen Regeln begegnen, sie interpretieren und wie sie ihre Entscheidungen anpassen – finde ich unglaublich spannend. Und ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Forschung in diesem Bereich dazu beitragen kann, dass bessere unternehmerische und politische Entscheidungen getroffen werden. Denn diese führen zu mehr Wohlstand und zu einem besseren Zusammenleben in unserer Gesellschaft.


Grenzgänger: zwischen Steuer- und Rechnungslegungsforschung

Meine Entscheidung für eine akademische Karriere in der BWL haben zwei ganz besondere Menschen entscheidend mitgeprägt. Zwei meiner akademischen Lehrer, die es geschafft haben, mich für die Forschung zu begeistern. Jeder auf seine eigene Weise. Der eine ganz am Ende seiner wissenschaftlichen Karriere und mit einer Fülle an Lebenserfahrung, Praxiskontakten und einem hohen Engagement für die Lehre. Die andere noch am Anfang ihrer akademischen Laufbahn und mit einem frischen und neuen Verständnis von Wissenschaft und Forschung. Sie hat mir den Zugang zu einer Forschungswelt ermöglicht, die zur damaligen Zeit State of the Art war. Sie legte großen Wert auf Vernetzung, internationale Forschung und den Austausch auf internationalen Konferenzen. Also genau die Elemente, die wir heute leben. Diese beiden Mentoren haben mich nachhaltig geprägt und den Grundstein für meine wissenschaftliche Tätigkeit gelegt – als Grenzgänger zwischen Steuer- und Rechnungslegungsforschung.

Wir können Unternehmen dabei unterstützen, informierte, wohlüberlegte Transparenz-Entscheidungen zu treffen.

Forschung: Interaktion zwischen Menschen

Interdisziplinarität ist mir persönlich sehr wichtig. Deshalb bin ich froh, sie in meinen TRR 266-Projekten leben und meine Aktivitäten erweitern zu können. Neben Besteuerung und Rechnungslegung nehmen wir zum Beispiel auch verstärkt Management-Literatur in den Blick. Durch den TRR 266 kann ich generell Forschungsfragen nachgehen, die ich alleine nicht umsetzen könnte. Entscheidend dafür ist die Fülle an Wissen, Perspektiven und Kompetenzen, die die unterschiedlichen TRR 266-Forscher miteinbringen. Ich selbst verstehe Forschung als große Interaktion zwischen Menschen. Da das individuelle Wissen und die individuellen Fähigkeiten begrenzt sind, ist es einfach wichtig, sich mit anderen auszutauschen.

Der TRR 266 verhilft uns zudem zu einer besseren Sichtbarkeit. Als Forschungsnetzwerk haben wir beispielsweise ganz andere Möglichkeiten, uns mit Politikern, Unternehmen oder Datenanbietern auszutauschen. Für mich bedeutet das letztlich, Projekte umsetzen zu können, die Praxis, Politik und Öffentlichkeit noch besser informieren. Zumal die Erkenntnisse der einzelnen Projekte innerhalb des TRR 266 zu einem großen Informationsbündel aggregiert werden. Mit diesem Informationsbündel können wir evidenzbasierte Diskussionen über steuerliche Anpassungen oder Reformen unterstützen. Und wir können Unternehmen dabei unterstützen, informierte, wohlüberlegte Transparenz-Entscheidungen zu treffen.

Menschen treffen im Rahmen ihres eigenen Erfahrungsraums Entscheidungen.

Internationale Einblicke: jenseits des deutschen Horizonts

Ich finde es wichtig, den eigenen Horizont regelmäßig zu erweitern. Wie sehr beispielsweise internationale Erfahrungen die eigene Forschung weiterbringen können, habe ich selbst erlebt. Unter anderem während meiner Forschungsaufenthalte. Zunächst in Dublin, damals noch als Student, und dann später als bereits promovierter Forscher in Madison (USA), Tilburg (Niederlande) und Graz (Österreich). Während dieser Aufenthalte konnte ich von und mit vielen Menschen lernen und wichtige Erfahrungen machen – fachlich und methodisch. Aber auch kulturell. Ich bin immer wieder anderen Lebens- und Universitätskulturen begegnet, anderen Denkweisen und Verständnissen von universitärer Lehre und Forschung. Das hat mir viele schöne Anekdoten beschert, die ich auch in meiner Lehre gerne einsetze. Und es hat meinen Blick erweitert, wie Welt jenseits des deutschen Horizonts erlebt wird. Das hatte natürlich auch Einfluss auf meine Forschung – und meine Faszination für kulturelle Zugänge. Denn Menschen treffen im Rahmen ihres eigenen Erfahrungsraums Entscheidungen. Das habe ich während dieser Aufenthalte, in meiner Forschung selbst erlebt.

Wie beeinflussen Rechnungslegungsstandards unternehmerische Entscheidungen?

In dem TRR 266-Projekt B04 untersuchen wir, welchen Einfluss Rechnungslegungsstandards auf unternehmerische Entscheidungen haben – gewollt oder ungewollt. Also zum Beispiel auf die Wahl eines Standortes für eine Tochtergesellschaft, weil dort möglicherweise Jahresabschlussinformationen im geringeren Maße publik gemacht werden müssen als an anderen Standorten. Oder auf die Umstellung von Verträgen zur betrieblichen Altersversorgung, weil Vorschriften zur Bilanzierung geändert wurden. Dazu liegt uns bereits anekdotische Evidenz vor – aus qualitativen Interviews, die wir mit Entscheidern durchgeführt haben. Wir möchten diese Zusammenhänge aber natürlich für möglichst viele Unternehmen nachvollziehbar machen und idealerweise dann nicht über Interviews – weil die Informationen, die wir auf diese Weise erhalten, natürlich begrenzt sind. Wir suchen nach einer zuverlässigen Methode, diese Informationen aus den Jahresabschlussberichten herauszufiltern. Zurzeit erproben wir dafür verschiedene Datenbanken und maschinelle Lesetechniken.

In den vergangenen Jahren wurden Unternehmen dazu verpflichtet, deutlich mehr Informationen offenzulegen. […] Wir untersuchen, wie Unternehmen auf diese neuen Regeln reagieren.

Kosten und Nutzen steuerlicher Transparenz

Im Projekt B07 beschäftigen wir uns mit den Kosten und Nutzen von steuerlicher Transparenz. In den vergangenen Jahren wurden Unternehmen dazu verpflichtet, deutlich mehr Informationen offenzulegen. Sie müssen preisgeben, in welchen Ländern sie wie viele Steuern zahlen und in welchem Verhältnis die gezahlten Steuern zu ihren Gewinnen und der Anzahl ihrer Mitarbeiter steht. Wir untersuchen, wie Unternehmen auf diese neuen Regeln reagieren – und wie Stakeholder wiederum auf die Informationen reagieren, die von den Unternehmen bereitgestellt werden. Zudem gibt es Bereiche, in denen Unternehmen freiwillig mehr Informationen über ihre steuerliche Situation preisgeben, weil sie sich dadurch Vorteile versprechen. Wir gehen der Frage nach, ob dieses Mehr an Information überhaupt nützlich ist. Ob die Informationen also tatsächlich genutzt, verarbeitet – und auch richtig interpretiert werden. Wir suchen derzeit nach einem Weg, die Qualität von steuerlicher Transparenz messbar zu machen. Dafür gibt es zurzeit noch keine etablierten Skalen, auf die wir zugreifen könnten. Daher testen wir unterschiedliche Messkonstrukte – ihre Möglichkeiten und Grenzen. Wir gehen davon aus, dass wir 2021/2022 erste Erkenntnisse veröffentlichen können.

Open Science ist unerlässlich, um Wissenschaft weiterzubringen.

Open Science: Forschung transparent kommunizieren

Ich lege viel Wert darauf, dass meine Forschungsergebnisse überprüfbar und reproduzierbar sind. Dass alle Entscheidungen, die wir in der empirischen Forschung treffen, und die Grenzen unserer Arbeit klar und transparent kommuniziert werden. Das war mir schon immer wichtig. Daher finde ich die Open Science-Initiative des TRR 266 einfach fantastisch. In der methodischen Umsetzung muss ich sicherlich noch einiges dazu lernen. Daher bin ich für die Unterstützung unseres TRR 266-Expertenteams um Joachim Gassen unheimlich dankbar. In den vergangenen Jahren haben wir bereits auf eigene Faust damit angefangen, erste Schritte zu gehen. In einigen Bereichen sind wir auch bereits weit fortgeschritten. So stellen wir unsere Daten beispielsweise in öffentlichen Repositories zur Verfügung und schreiben Programmiercodes so, dass sie gut lesbar und nachvollziehbar sind. Das mag vielleicht riskant sein, weil man sich damit auch angreifbar macht, aber: Open Science ist unerlässlich, um Wissenschaft weiterzubringen.

 

 

Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.  

Researcher of the Month January 2021

Beteiligte Institutionen

Die Hauptstandorte vom TRR 266 sind die Universität Paderborn (Sprecherhochschule), die HU Berlin und die Universität Mannheim. Alle drei Standorte sind seit vielen Jahren Zentren für Rechnungswesen- und Steuerforschung. Hinzu kommen Wissenschaftler der LMU München, der Frankfurt School of Finance and Management, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität zu Köln und der Leibniz Universität Hannover, die die gleiche Forschungsagenda verfolgen.

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