Juli 2022: Prof. Dr. Katharina Nicolay
Katharina Nicolay, Juniorprofessorin für Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft an der Universität Mannheim, leitet zusammen mit Jens Müller und Johannes Voget das Projekt B07 „Costs and Benefits of Tax Transparency“. Gemeinsam untersuchen sie, wie sich obligatorische und freiwillige Steuerinformationen auf die Steuertransparenz auswirken – und welche Auswirkungen das auf unternehmerische Entscheidungen hat.
Mein Weg in die Steuerforschung
Das unheimlich inspirierende Umfeld, dem ich während meines Studiums und meiner Promotion begegnet bin, hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich letztendlich für eine akademische Karriere im Bereich der Steuerforschung entschieden habe. Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit an der Université Panthéon Sorbonne. Dort hatte ich einen ganz jungen Professor, der für seine Forschung gebrannt hat – und der uns daran hat teilhaben lassen. Der Funke ist definitiv übergesprungen – und er hat mich inspiriert. Auch ich versuche, durch eine enge Verzahnung von Forschung und Lehre meine Studenten für die Steuerforschung zu begeistern. Einen weiteren wichtigen Schlüsselmoment habe ich während meiner Projekte für die europäische Kommission und für das Bundesministerium für Finanzen erlebt. Zu sehen, wie relevant die eigenen Forschungsergebnisse für die Arbeit in diesen Institutionen sind, zu realisieren, dass man wirklich etwas bewirken kann, hat mich in meiner Entscheidung für die Steuerforschung noch einmal bestärkt.
Ich liebe die Dynamik, mit der man als Steuerforscherin konfrontiert ist.
Steuerforschung: international und dynamisch
Und natürlich fasziniert mich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit steuerlichen Themen. Ich liebe die Dynamik, mit der man als Steuerforscherin konfrontiert ist. Denn steuerliche Rahmenbedingungen und Regeln ändern sich häufig. Insbesondere in den vergangenen Jahren hat sich in der Hinsicht viel getan. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern und im Zusammenspiel mit diesen. Steuern sind ein sehr internationales Thema. Natürlich gibt es nationale Gesetzgebungen, aber sämtliche globale Transaktionen von multinationalen Unternehmen haben steuerliche Auswirkungen. Und diese zu verstehen, zu untersuchen, wie sich das Verhalten von Unternehmen ändert, wenn sich steuerliche Rahmenbedingungen ändern, finde ich unheimlich reizvoll.
Wir untersuchen, ob die Tatsache, dass Unternehmen – freiwillig oder verpflichtend – mehr Steuerinformationen offenlegen, tatsächlich zu mehr Transparenz beiträg.
Mehr Steuerinformationen, mehr Transparenz?
In unserem TRR 266-Projekt B07 untersuchen wir, ob die Tatsache, dass Unternehmen – freiwillig oder verpflichtend – mehr Steuerinformationen offenlegen, tatsächlich zu mehr Transparenz beiträgt. Und wir gehen der Frage nach, ob und wie sich dadurch das Verhalten der Unternehmen ändert. Etwa, wenn sie darüber berichten müssen, in welchen Ländern sie ihre Gewinne erwirtschaften. Fahren Unternehmen als Folge ihre Aktivitäten in Steueroasen zurück, weil sie eine negative Reaktion von Aktionären, Konsumenten und anderen Stakeholder fürchten? Oder weil sie glauben, dass auf diese Weise das Risiko steigt, dass die Finanzverwaltung auf illegale Steuerplanungsaktivitäten aufmerksam wird? Oder zeigen Unternehmen keinerlei Reaktion, weil die Tatsache dominiert, dass es sich um legale steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten handelt?
In einer unserer Publikationen untersuchen wir zum Beispiel, wie sich Country-by-Country Reporting für Banken auf die Reaktionen von Anlegern und damit auf den Firmenwert auswirkt.
Country-by-Country Reporting: kein Einfluss auf den Firmenwert
In einer unserer Publikationen untersuchen wir zum Beispiel, wie sich Country-by-Country Reporting für Banken auf die Reaktionen von Anlegern und damit auf den Firmenwert auswirkt. Seit 2014 sind Banken dazu verpflichtet, darüber zu berichten, in welchen Ländern sie wie viele Gewinne erwirtschaften, Steuern zahlen und Personal beschäftigen. Diese Informationen sind nicht nur für die Steuerbehörden, sondern öffentlich zugänglich. In unserer Studie stellen fest, dass die Einführung des CbCR-Reporting keinen wesentlichen Einfluss auf den Firmenwert hat. Denn Anleger erwarten sowohl eine Verringerung der Steuervermeidungsmöglichkeiten der Banken als auch einen Abbau der Informationsasymmetrien zwischen Managern und Aktionären. Das wiederum führt zu positiven und negativen Aktienkursreaktionen, die sich im Schnitt gegenseitig ausgleichen. Ein spannendes Working Paper zum Thema haben übrigens auch meine TRR 266 Kollegen Raphael Müller und Stephan Weck zusammen mit Christoph Spengel veröffentlicht.
Die neuen Daten beseitigen einen großen blinden Fleck, mit dem Steuerbehörden zuvor mit Blick auf Gewinnverschiebungen zu kämpfen hatten.
CbCR-Reporting beseitigt großen blinden Fleck
In einer anderen Studie blicken wir stärker auf den Informationsgewinn, der durch Einführung des CbCR-Reporting erzielt werden kann. Und der ist enorm. Die neuen Daten beseitigen einen großen blinden Fleck, mit dem Steuerbehörden zuvor mit Blick auf Gewinnverschiebungen zu kämpfen hatten. Für 73 Prozent aller Banken finden wir nur dann Informationen über ihre Gewinne in Steueroasen, wenn wir die Daten aus dem CbCR-Reporting nutzen. Auf Basis der alten Daten waren diese Informationen nicht verfügbar. Während anhand der bislang verfügbaren Daten aus Orbis oder BankFocus, die Gewinnverlagerung in Steueroasen auf lediglich 2,4 Prozent geschätzt wurde, legen die neuen Daten nahe, dass 10 Prozent aller Gewinne in Steueroasen verschoben werden. Das macht einen großen Unterschied – und signalisiert einen akuten Handlungsbedarf.
Eine Studie von uns zeigt, dass sich Banken grundsätzlich an ihre Offenlegungspflichten halten.
Banken halten sich grundsätzlich an Offenlegungspflichten
Wenn man die Wirkung und den Nutzen des CbCR-Reporting vollumfänglich verstehen möchte, gibt es eine weitere wichtige Frage, die es zu untersuchen gilt: Inwiefern erfüllen Banken ihre Offenlegungspflichten? Und versuchen sie ggf. durch die Art und Weise der Darstellung Informationen zu verstecken? Eine Studie von uns zeigt, dass sich Banken grundsätzlich an die Vorschriften halten. Ein viel größeres Problem hingegen ist, dass es zunächst keine einheitlichen Definitionen von den zu berichtenden Bilanzpositionen gab – und auch nicht hinlänglich definiert war, ob die Daten aus dem Einzel- oder aus dem Konzernabschluss stammen mussten. Dadurch gab es erhebliche Unterschiede in der Auslegung der Vorschriften. Diese wurden dann zumeist im Kontext der nationalen Berichterstattung gedeutet. Mittlerweile hat es bereits Anpassungen von Seiten des Gesetzgebers gegeben, die Vorgaben für Unternehmen sind bereits wesentlich präziser geworden.
Viele meiner Forschungsprojekte sind ganz nah an steuerpolitischen Brennpunkten.
Einen Beitrag leisten
Viele meiner Forschungsprojekte sind ganz nah an steuerpolitischen Brennpunkten. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Ich möchte einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, indem ich relevante Forschungsergebnisse in die Praxis einbringe, insbesondere in die politische Beratung. In der Vergangenheit ist mir das zum Beispiel über Projekte für die EU-Kommission und das BMF gelungen. Auch bei einer Anhördung der OECD zu BEPS – einer Maßnahme zur Bekämpfung von Steuervermeidung – durfte ich steuerwissenschaftliche Überlegungen einbringen. Gleichzeitig treibt mich aber auch der Erkenntnisgewinn selbst an. Ich möchte unbedingt bestmöglich verstehen, wie geänderte steuerliche Vorschriften und Verhaltensreaktionen von Unternehmen zusammenhängen. Natürlich haben wir dabei keine Laborbedingungen. Daher lege ich sehr großen Wert auf einen extrem sorgfältigen Umgang mit den empirischen Methoden. Dabei ist es natürlich auch wichtig, die Grenzen dieser Methoden zu verstehen, sie mitzudenken und sie transparent zu machen.
Gerne hole ich mir auch Inspiration aus anderen Disziplinen – und schauen beispielsweise, wie dort Effekte gemessen werden.
Methodisch auf dem neuesten Stand bleiben
Daher bin ich immer darauf bedacht, mich methodisch fortzubilden. Gerne hole ich mir auch Inspiration aus anderen Disziplinen – und schauen beispielsweise, wie dort Effekte gemessen werden. Vielversprechende Ansätze versuche ich dann auf meine eigne Forschung zu übertragen. Grundsätzlich finde ich den wissenschaftlichen Austausch auf Konferenzen in der Hinsicht auch immer sehr bereichernd. Hier bekommt man sehr viele hilfreiche Hinweise und Denkanstöße, seine Forschung und Methoden weiterzuentwickeln. Daher bin ich sehr glücklich in Forschungsverbünden aktiv zu sein – wie dem TRR 266 und dem Leibniz WissenschaftsCampus „Mannheim Taxation“ –, die sich sehr stark für einen solchen Austausch einsetzen. Nicht nur innerhalb der Forschungsgemeinschaft, sondern auch mit Politik, Praxis und Öffentlichkeit.
Im TRR 266 ist für mich insbesondere die Zusammenarbeit mit den anderen TRR 266-Mitgliedern sehr bereichernd. In und zwischen den einzelnen Projekten gibt es einen regen und fruchtbaren Austausch.
TRR 266: viele Forschungsfragen, ein Ziel
Im TRR 266 ist für mich insbesondere die Zusammenarbeit mit den anderen TRR 266-Mitgliedern sehr bereichernd. In und zwischen den einzelnen Projekten gibt es einen regen und fruchtbaren Austausch. Die Fragestellungen der unterschiedlichen Projekte ergänzen sich sehr gut, wir können viel voneinander lernen und von der Forschung des jeweils anderen profitieren. Das German Business Panel (GBP), das zentrale Infrastrukturprojekt des TRR 266, zum Beispiel versorgt uns mit wichtigen und neuartigen Daten. Dank das GBP haben wir die Chance, Frage zu stellen, die sich über die regulär verfügbaren Daten nicht beantworten lassen. Insgesamt finde ich es unheimlich spannend zu sehen, wie Forschende mit unterschiedlichen Hintergründen, methodischen Ansätzen und Forschungsinteressen gemeinsam an etwas Größerem arbeiten – und jeder der übergeordneten Fragestellung Stück für Stück ein weiteres Puzzleteil hinzufügt.
*Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.
**In diesem Beitrag wird ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit teilweise auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.