September 2020: Prof. Dr. Sönke Sievers
Sönke Sievers, Professor für International Accounting an der Universität Paderborn, ist Projektleiter des Teilprojekts B05 „Transparency and the Equity Market“. Darin untersucht er, wie sich die Transparenz der Finanzberichterstattung auf die Informationsasymmetrie auf den Aktienmärkten auswirkt. Im Projekt C03 wiederum engagiert er sich für eine effektive Wissenschaftskommunikation.
An der Schnittstelle: Finance und Accounting
Ursprünglich komme ich aus dem Bereich Corporate Finance. Zumindest hat damit für mich alles angefangen. Denn insbesondere Unternehmensbewertungen haben früh mein Interesse geweckt. Auf Grundlage aller zur Verfügung stehenden Informationen zu beurteilen, wie viel ein Unternehmen wert ist – finde ich unheimlich spannend. Im Rahmen meiner Promotion wurde mir schnell bewusst, dass mir Accounting-Informationen dabei grundlegend helfen können. Um prognostizieren zu können, wie sich das Unternehmen in Zukunft verhält, ist es wichtig, auch die Detailinformationen aus Jahresabschlüssen (z.B. Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen) zu verstehen und zu nutzen. Accounting-Informationen sind – neben ergänzenden Unternehmensinformationen wie Presseberichte, Analystenvorhersagen etc. – die wesentliche Informationsgrundlage, die man benötigt, um empirische Fragestellungen im Bereich Rechnungswesen und Finanzierung zu bearbeiten. Aus diesem Grund arbeite ich seit rund 15 Jahren an der Schnittstelle zwischen Finance und Accounting. Eine bewusste Entscheidung, die ich jederzeit wieder treffen würde.
TRR 266: Breiter Austausch eröffnet Chancen
Gerade weil ich mich besonders für Schnittstellen-Forschung interessiere, bietet mir der TRR 266 ein perfektes Umfeld. Hier kann ich mich mit führenden Forschenden aus ganz Deutschland austauschen – mit Theoretikern und anderen Empirikern, mit weiteren Accounting-Spezialisten und Steuer-Experten. Diese breite Mischung macht es möglich, hochgradig interessante Fragestellungen zu entwickeln und zu bearbeiten, die sich sonst womöglich niemals ergeben hätten. Das sehe ich als große Chance. Für mich persönlich, aber auch für die Transparenzforschung – und für die Praxis, die von den Erkenntnissen unserer Forschung profitieren kann.
Denn auch zu viel Transparenz kann erhebliche Nachteile nach sich ziehen.
Effektive Transparenzregulierung
Am Beispiel der Samwer Brüder zeigt sich einmal mehr, wie wichtig eine effektive Transparenzregulierung ist. Die drei Brüder haben angekündigt, das MDax-Unternehmen Rocket Internet nach sechs Jahren von der Börse zu nehmen. Einer der in der Presse genannten Gründe: Sie haben die damit verbundenen Transparenzpflichten zunehmend als Last empfunden. Für die Anleger – insbesondere die der ersten Stunde – kann dies aufgrund der Börsenkursentwicklung über den gesamten Zeitraum sehr nachteilige Folgen haben. Das zeigt, wie wichtig es ist, hier die richtige Balance zu finden – zwischen zu wenig und zu viel Information. Denn auch zu viel Transparenz kann erhebliche Nachteile nach sich ziehen. Durch hohe Bereitstellungskosten im Unternehmen etwa oder weil der Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens verloren geht, wenn es zu viel Informationen offenlegt. Für Standardsetzer ist es daher enorm wichtig zu wissen, wie viel Transparenz sinnvoll ist, und wann sie zum Problem wird. Mit unserer Arbeit im TRR 266 können wir dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Wir können empirisch zeigen, worauf Aktionäre zu achten scheinen und welche Informationen sie für
ihre Investitionsentscheidungen benötigen.
Damit können wir Regulierern konkrete
Empfehlungen geben.
Sorgenkind: Forschung zu immateriellen Vermögensposten
Im Projekt B05 untersuchen wir, wie sich die Transparenz der Finanzberichterstattung auf den Aktienmarkt auswirkt, insbesondere gewisse Subkomponenten von Jahresabschlüssen. Eine Studie, an der wir gerade intensiv arbeiten, beschäftigt sich zum Beispiel mit der Rechnungslegung bei immateriellen Vermögensposten und ihrem Einfluss auf den Aktienmarkt. Zu den immateriellen Vermögensposten zählen zum Beispiel die Anzahl der Patente, erworbenes Know-how oder Kundenlisten. Sie sind bereits seit vielen Jahrzehnten die Sorgenkinder des Rechnungswesens. Denn: Sie sind extrem schwer zu fassen und somit zu bilanzieren. Wie viel sind Kundenbeziehungen überhaupt wert? Sollten Marketingmaßnahmen als Vermögensposten in der Bilanz aufgeführt werden? Oder sind sie als Aufwand abzuschreiben, weil ihr Effekt direkt verpufft?
Derzeit versucht man dieses Problem zu lösen, indem bei einer Unternehmensübernahme – grob gesprochen – die einzelnen immateriellen Vermögensposten getrennt bewertet werden und der Rest in einer Summenposition zusammengefasst wird, dem sogenannten Goodwill. Doch was das für die Entscheidungsfindung von Aktionären bedeutet, wurde bislang nicht ausreichend empirisch untersucht. Aktuell wird wieder über eine Änderung der Regulierung nachgedacht. Derzeit geäußerte Vermutungen konnten sich bisher allerdings nur auf wenig Evidenz stützen. Mit unserer Studie versuchen wir diese Lücke zu füllen. Wir können empirisch zeigen, worauf Aktionäre zu achten scheinen und welche Informationen sie für ihre Investitionsentscheidungen benötigen. Damit können wir Regulierern konkrete Empfehlungen geben. Zum Beispiel, welche immateriellen Vermögensposten separat in der Bilanz ausgewiesen werden sollten – und welche im Goodwill zusammengefasst werden können, weil sie für die Aktionäre nicht relevant zu sein scheinen.
Mit unserer B05-Forschung können wir in aktuellen Diskussionen also für empirische Evidenz sorgen.
Empirische Evidenz in aktuellen Diskussionen
Mit Per Olsson wiederum erforsche ich derzeit, welche Rolle Accounting-Informationen bei der Einschätzung von Unternehmensrisiken spielen können. Da Accounting-Informationen insbesondere die Vergangenheit abbilden, nehmen viele an, dass sie sich für die Vorhersage von Risiken nicht wirklich eignen. Wir zeigen allerdings, dass das so nicht stimmt. Wenn man sie richtig versteht und modelliert, können sie helfen, Unternehmensrisiken besser einzuschätzen. Mit unserer B05-Forschung können wir in aktuellen Diskussionen also für empirische Evidenz sorgen. Eine unserer originären Aufgaben als Forscher, die mir extrem wichtig ist. Ebenso lege ich großen Wert darauf, dass meine Forschung theoretisch fundiert und empirisch auf dem neusten Stand ist. Daher begebe ich mich immer wieder von Neuem auf die Suche nach der Methode, die meine Fragestellung am exaktesten und zuverlässigsten beantworten kann.
Komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge müssen so aufbereitet werden, dass sie auch für ein fachfremdes Publikum verständlich sind.
Mit Wissenschaftskommunikation gegen Fake News
Wissenschaftskommunikation empfinde ich als eine zentrale Aufgabe, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Gerade in einer Zeit, in der Fake News und Filterblasen unsere Wissensgesellschaft bedrohen. Wir Forschende müssen dem etwas entgegensetzen. Daher ist es mir wichtig, auch im Teilprojekt C03 aktiv zu sein. Das Projekt hilft uns zu verstehen, wie wir Menschen mit unserer Forschung erreichen können, und wie sich wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse gegen Meinungsmache durchsetzen können. Eine große Herausforderung! Immerhin bewegen wir uns dabei in einem besonderen Spannungsverhältnis, das genau austariert werden muss. Komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge müssen so aufbereitet werden, dass sie auch für ein fachfremdes Publikum verständlich sind. Gleichzeitig dürfen wir die zugrundeliegende Komplexität dabei nicht negieren – vielmehr müssen wir es schaffen, sie konsumierbar zu machen.
Die im Beitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung des Forschenden wieder und entsprechen nicht grundsätzlich der Meinung des TRR 266. Als Wissenschaftsverbund ist der TRR 266 sowohl der Meinungsfreiheit als auch der politischen Neutralität verpflichtet.