Warum (U.S.) Politiker*innen aktiv in die Regulierung der Rechnungslegung eingreifen
Die TRR 266 Wissenschaftler Jannis Bischof und Holger Daske haben zusammen mit Christoph Sextroh (Tilburg) öffentliche Stellungnahmen von U.S.-Kongressabgeordneten analysiert, um den Einfluss von Politiker*innen auf Rechnungslegungsvorschriften zu ermitteln. Sie stellten fest, dass fast ein Drittel der Politiker*innen aktiv an den wesentlichen Details der Rechnungslegungsvorschriften beteiligt war. Wichtiger: Das Forschungsteam konnte bei der Beantwortung der Frage, warum diese Politiker*innen intervenierten, zwei Hauptgruppen identifizieren. Die eine Gruppe war durch ihre Ideologie motiviert, die andere durch ihre starken Verbindungen zur Industrie. Die erste Gruppe greift unregelmäßig ein – meist, wenn das Thema ‚heiß‘ ist – während letztere durchgehend beteiligt ist. Bischof und Daske erläutern diesen politischen Prozess zur Standardsetzung im Folgenden.
Regulierung, und insbesondere ein technisches Thema wie die Finanzbuchhaltung, wird oft als Angelegenheit für Bürokrat*innen aufgefasst – und nicht als Angelegenheit für Politiker*innen. Dabei wird allerdings vernachlässigt, dass viele Buchführungsregeln reale wirtschaftliche oder soziale Konsequenzen haben. Zum Beispiel haben Rechnungslegungsvorschriften für Aktienoptionspläne einen direkten Einfluss darauf, wie Unternehmen ihr Management vergüten. Ähnlich wirkt sich die buchhalterische Bewertung von Bankvermögen auf das Mindesteigenkapital aus. Weniger restriktive Anforderungen für die Anerkennung von Verlusten verringern somit die Wahrscheinlichkeit von Bankenrettungsaktionen.
Überprüfung öffentlicher Statements
Wir haben die öffentlichen Ansprachen aller 435 Abgeordneten des U.S.-Kongresses systematisch überprüft – Fernseh- und Radiointerviews, Pressemitteilungen und Ansprachen eingeschlossen – was zu einem reichen Datensatz an Statements geführt hat. Wir haben unseren Fokus auf die USA gelegt, weil wir über einen systematischen Zugang zu Daten über die finanziellen Verbindungen von Kongressabgeordneten verfügen. Auf Basis dieser Daten erläutern wir, warum sich hochrangige Politiker*innen derart für die vermeintlich technischen Aspekte von Rechnungslegung interessiert haben, anstatt dieses Themenfeld Expert*innen zu überlassen. Wir haben herausgefunden, dass die Politiker*innen, die intervenierten, in zwei verschiedene Gruppen eingeteilt werden können: Die eine Gruppe war durch ihre ideologische Sichtweise auf wirtschaftliche und soziale Konsequenzen der Regulierung motiviert, die andere wurde durch ihre Verbindungen zur Industrie und letztlich durch ihre speziellen Interessen angetrieben.
Ideologie
Eine bestimmte Gruppe von Politiker*innen ist ideologisch motiviert und greift nur in politische Debatten ein, wenn das Thema insbesondere in den Medien ein ziemlich hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit erhält. Im Grunde genommen konzentriert sie sich auf die wirtschaftlichen Folgen der Regulierung, wie beispielsweise Bankenrettungen oder die Einschränkung potenziell überhöhter Managementvergütungen. Diese Politiker*innen teilen eine starke und homogene ideologische Sicht hinsichtlich dieser Konsequenzen. Wir beobachten zum Beispiel, dass sehr fiskalkonservative Republikaner*innen, die sich strikt gegen staatliche Interventionen und Bankenrettungsaktionen aussprechen, eine Lockerung der Rechnungslegungsvorschriften befürworten, die das Kapital der Banken künstlich erhöhen. Ebenso sehen wir, dass linksliberale Demokrat*innen, die sich für eine Begrenzung der Managementvergütung einsetzen, für die Anerkennung aller Ausgaben für Aktienoptionen plädieren und damit Aktienoptionspläne für Unternehmen weniger attraktiv machen.
Verbindungen zur Industrie
Eine zweite Gruppe von Politiker*innen ist regelmäßiger involviert und übt größeren Einfluss auf die technische Gestaltung der Vorschriften aus. Sie legen weniger Wert auf die wirtschaftlichen Folgen der Regulierung als vielmehr auf technische Faktoren wie die Ertragsvolatilität pro Aktie, die sich auf die Relevanz und Vorhersehbarkeit von Gewinnen bezieht. Dieser Fokus lässt sie objektiver und sachlicher in ihrer Argumentation wirken. Wir haben jedoch beobachtet, dass gerade diese Gruppe, durch beispielsweise finanzielle Kampagnenbeiträge, starke Verbindungen zu den betroffenen Interessengruppen hat. Diese Gruppe von Politiker*innen bezieht in der Regel Stellung zu Regelungen, die mit den wirtschaftlichen Interessen dieser Gruppen in Einklang stehen. Wer zum Beispiel Wahlkampfspenden von der Finanzindustrie erhält, setzt sich eher für Rechnungslegungsvorschriften ein, die den Banken helfen, in Krisenzeiten Verlustmeldungen zu vermeiden, um ihr Eigenkapital zu bewahren.
Auswirkung
Unsere Forschung zeigt, dass wirtschaftliche Interessengruppen (in den USA) in der Lage sind, über Politiker*innen Einfluss auf die technische Regulierung der Rechnungslegung zu nehmen und dadurch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Obwohl vieles, was in Europa passiert, hinter geschlossenen Türen stattfindet, vermuten wir, dass solche Verbindungen zur Industrie auch hier zu finden sind. Die wichtigste Lektion, die wir gelernt haben, besteht darin, dass wir Rechnungslegungsstandards nicht isoliert von politischen Einflüssen und ideologischen Ansichten über ihre Folgen betrachten können. Stattdessen sollten wir die Festlegung von Rechnungslegungsstandards so betrachten, dass sie denselben politischen Kräften unterliegen, die auch die Politik in anderen Bereichen prägen.
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Lesen Sie den vollständigen Artikel „Why Do Politicians Intervene in Accounting Regulation? The Role of Ideology and Special Interests” von Jannis Bischof, Holger Daske und Christoph J. Sextroh im Journal of Accounting Research. https://doi.org/10.1111/1475-679X.12300.
Zitation dieses Blogs:
Bischof, J., & Daske, H. (2020, März 13). Warum (U.S.) Politiker*innen aktiv in die Regulierung der Rechnungslegung eingreifen, TRR 266 Accounting for Transparency Blog. https://www.accounting-for-transparency.de/de/warum-u-s-politiker-aktiv-in-die-regulierung-der-rechnungslegung-eingreifen/
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